Frauengeschichte(n)
Von Stefanie Zesiger
13.15 Uhr – nach einem Arbeitsmorgen in der école vivante kommen meine Freundin Aicha und ich nach Hause. Wir haben eine knappe Dreiviertelstunde Zeit, dann müssen wir uns wieder auf den Weg machen. Normalerweise wäre ich gestresst, denn in 45 Minuten etwas kochen, essen und abwaschen ist das Gegenteil einer ruhigen Mittagspause. Doch heute bin ich ganz entspannt. Aichas Mann hat Ferien und deshalb den ganzen Morgen zu Hause verbracht. Ist doch klar, dass er für uns gekocht hat, denke ich mir. Als wir uns dem Haus nähern, sehe ich ihn mit einem Kollegen vor dem Haus Tee trinken. Freundlich grüsse ich die beiden, immer noch total entspannt. Als ich ins Haus gehe, riecht es nach allem Möglichen nur nicht nach Essen. Aicha ist bereits auf dem Weg in die Küche und fragt mich, ob ich eine Idee hätte, was wir fürs Mittagessen machen könnten. Da wird mir bewusst, dass ich in Marokko bin. Anders als zu Hause in der Schweiz, spielt es hier keine Rolle, wer den Vormittag über gearbeitet hat und wer die Ferien geniessen konnte. Denn Kochen ist Sache der Frau.
Gemeinsam mit Aicha und ihrer Schwester Malika haben wir einen Tagesausflug gemacht. Ein wunderbarer Tag mit vielen Erlebnissen – was ihn aber auch anstrengend machte. Als wir abends nach Hause kommen, haben wir unerwarteten Besuch von Aichas Schwiegermutter und deren Tochter. Anstatt eines gemütlichen Abends gilt es nun also, ein Menu auf den Tisch zu zaubern. Als ich mich auf den Weg in die Küche machen will, schickt mich meine Aicha zurück. Es sei ihre Schwiegermutter, also müsse sie sich um die ganze Küche kümmern. Und so bereitet sie ganz alleine für uns alle ein Abendessen vor, tischt auf, räumt und wäscht wieder ab. Da es nun schon spät ist, kommen unsere Gäste nicht mehr nach Hause und bleiben über Nacht bei uns. Als ich am nächsten Morgen an den Frühstückstisch komme, ist dieser überfüllt mit zahlreichen selbst gemachten Gebäcken. Später erfahre ich, dass Aicha die halbe Nacht backend in der Küche verbracht hat. Sie sieht müde aus und als wäre dies nicht schon genug, leidet sie an schrecklichen Bauchschmerzen. Dies hält ihre Schwiegermutter aber nicht davon ab, sie zu bitten, mit ihr noch einige Verwandte im Dorfe besuchen zu kommen und so machen sich die beiden auf den Weg. Kaum kommen sie zurück, verschwindet Aicha wieder in der Küche. Diesmal darf ich ihr nun endlich helfen.
Wir sprechen über Kleidung. Ich frage Aicha, weshalb manche Musliminnen Hosen tragen und andere nicht. Sie erklärt mir, dass es darauf ankomme, wie man den Koran interpretiere oder anders gesagt, wie gläubig man sei. Sie nehme die religiösen Kleidervorschriften also sehr ernst, bemerke ich. Bisher habe ich sie nur in langen Röcken gesehen. Schon, meint sie, aber die Religion sei nicht der Hauptgrund dafür, dass sie keine Hose tragen würde. Dieser sei, dass es ihrem Mann lieber sei, wenn sie Röcke trage.
Alles Situationen, welche ich so in Marokko erlebt habe. Natürlich gäbe es noch viele mehr, doch diese waren am einschneidendsten für mich. Sie stimmten mich sehr nachdenklich, bin ich doch eine Frau, welche sich mit der Gleichstellung auseinandersetzt. Zu Hause in der Schweiz nerve ich mich darüber, dass sie noch immer nicht Realität ist. Doch hier in Marokko träume ich von den Verhältnissen in der Schweiz. Was mir ganz besonders auffällt, ist die Selbstverständlichkeit der Geschlechterrollen. Oder ist diese nur oberflächlich? Gerade bei der jüngeren Generation habe ich das Gefühl, dass langsam Zweifel aufkommen. Ich hoffe, dass diese jungen Frauen sich zusammentun, sich gemeinsam stärken und für ihre Rechte zu kämpfen beginnen.