Lockdown: Bericht der Schulleiterin

Was war und was wird kommen

Vom 16. März bis einschliesslich 10. Juni war alles geschlossen und das gesamte Land, alle Schulen und das komplette öffentliche Leben waren im Lockdown. Stille und Stillstand total.
 Seit 11. Juni öffnen sich die Dinge allmählich wieder in Zone 1 (ländliche Gebiete und kleinere Städte). Die Grossstädte sollen ab Juli wieder ins normalere Leben zurückfinden – alles aber unter strengeren Sicherheits- und Gesundheitsauflagen und Einschränkungen (z.B. Mundschutz als Pflicht).

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Das aktuelle Schuljahr wurde nun offiziell als abgeschlossen erklärt, für den Übertritt wird man sich auf die Halbjahresnoten vom Januar berufen, und der offizielle Schulbetrieb soll erst im September mit Beginn des neuen Schuljahres losgehen.

Natürlich sind deshalb auch seit Mitte März all unsere Schüler und Lehrer jeweils bei sich zuhause und sind es nach wie vor. In dieser gesamten Zeit waren wir v.a. über Whatsapp in Kontakt.
 Da diese ganze Schliessung sehr überraschend gekommen ist und wir uns in gar keiner Weise darauf vorbereiten und absprechen konnten, war auch die Fern-Begleitung etwas ganz Neues und nur teilweise möglich. Smartphone-Nutzung ist für die meisten hier immer noch ein unbekanntes Gebiet und viele Eltern haben noch gar keines, geschweige denn einen PC- oder Internetzugang zuhause. Viele Eltern sind ja Analphabeten, und daher war deren Hilfe im Homeschooling oder Kontakthalten über E-Messages schier unmöglich.

Hier hat sich wieder einmal die grosse soziale Bandbreite und Heterogenität unserer Schüler- und Elternschaft gezeigt – viel mehr noch als in den Städten herrscht hier eine Ungleichheit, die wir als Schule im normalen Unterrichtsbetrieb meist recht gut ausbalancieren können, in solchen extremen Situationen, wo Lernbegleitung komplett in Elternhand liegt, aber nur wenig ausgleichen können.
Das marokkanische Bildungsministerium hat auf die unerwartete Situation sehr schnell und gut reagiert und umfassende Fernsehprogramme und auch Unterrichtsonline-Programme angeboten, wovon ein paar Schüler sicher profitieren konnten und teils immer noch tun – vor allem die Schüler der Prüfungsklassen (6. und 9. Klasse). Auch die Lehrer konnten von den dort abgehaltenen Unterrichtseinheiten profitieren und sich neue Inspiration und Ideen in der Stoffvermittlung holen. Die Prüfungsklassen wurden auch von unserem Lehrerteam in Whatsapp-Gruppen begleitet und aus der Ferne betreut, was in den meisten Fällen sehr gut funktioniert hat; die Lehrerinnen haben Aufgaben gestellt und evaluiert, und vereinzelt sogar per Videos und Sprachnachrichten Unterrichtseinheiten geboten. Wie und ob diese Schüler dann im Herbst Prüfungen machen müssen oder direkt in die nächste Schulstufe übertreten können, ist noch offen und wir schauen nun, wie wir die Transition gut miteinander hinbekommen.

Seit 11. Juni dürfen wir uns als Lehrerteam wieder offiziell treffen, allerdings nach wie vor nur auf freiwilliger Basis und unter Gesundheitsschutz Auflagen.
 Mit dem Leaderteam des campus vivant’e sind wir nun also am offiziellen Abschliessen des Schuljahres (Notenerfassung, Papiere, Administrationsarbeit) und mit allen Lehrern am Planen des kommenden Jahres. Hier hat nun vor allem auch die Reflexion der letzten Monate und die Frage zu unserer Rolle als Bildungseinrichtung grosses Gewicht: „Wie war die Zeit des Shutdowns? Was konnten wir daraus lernen und v.a. was müssen wir noch lernen? Was haben wir verpasst und wie müssen wir uns auf ein eventuelles Nächstes-Mal besser vorbereiten (auch Eltern und Schüler)? Was bedeutet diese gesellschaftliche und weltweite Entwicklung für Schulen, Lehrplan und unseren Bildungsauftrag allgemein? Wie können wir unsere Schüler mit den vielen verschiedenen sozialen Hintergründen wieder zusammenbringen, dort abholen wo jeder einzelne steht und Chancengleichheit ermöglichen? …“
Viele, viele Fragen beschäftigen uns, und wir sehen dies als Chance und Pflicht, aus dieser speziellen Zeit zu wachsen und Dinge auch neu zu definieren. Die Rückmeldungen aus unserem online-Fragebogen vom April geben hierbei Anstösse (danke fürs Mitmachen!) und nach und nach werden auch die Erfahrungen der Eltern und Schüler mit in unsere Überlegungen einfliessen.

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Finanziell gesehen geht es den Familien hier im Tal aktuell nicht schlechter als sonst: auch hier hat der Staat wirklich vorbildlich reagiert und erstattet allen Familien ohne Arbeitsvertrag oder Sozialversicherung (also allen Tagelöhnern, Bauern, einfachen Arbeitern, Arbeitslosen, Witwen, …) ein kleines monatliches Hilfsgeld und teilweise auch materielle Verpflegung, was ihren Lebensunterhalt sichert und ihnen Sorgen nimmt. Unser eigenes Team konnte dank der Spendengelder und eurer Unterstützung seinen Lohn weiterhin beziehen und somit hat der campus vivant’e hier eine wichtige Rolle als sorgender Arbeitgeber weiterhin ausführen und die Existenz von über 20 Angestellten und ihrer gesamten Grossfamilien sichern können. Dafür sind wir sehr dankbar!

Die Permakultur auf dem Campus hat die Auszeit sichtlich genossen und die Pflanzen und Bäume konnten sich erholen und dank des kühlen, teils feuchten Wetters und unserer Pflege auch gut wachsen. Nun kommt der Sommer und es wird merklich heisser.

Das Lehrerteam arbeitet nun noch bis Ende Juli an der Nachbereitung des alten und Vorbereitung des neuen Schuljahres. 
Dann sind Sommerferien und ab dem 2. September soll es planmässig mit dem neuen Schuljahr auf „normale Art“ wieder mit den Schülern im Unterrichtsbetrieb losgehen. Wir müssen bei all dem aber weiterhin offen und flexibel bleiben, da niemand wirklich sagen kann, wie sich die Dinge allgemein entwickeln.

Herzliche Grüsse
Stefanie Itto TAPAL-MOUZOUN