Wer unseren Vortragsabend am 17. März 2021 verpasst hat, kann das Video des Zoom-Anlasses hier nachschauen. Viel Spass!
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Der Campus Vivant’e im Hohen Atlas in Marokko begleitet Kinder und Jugendliche
ins Leben – eine Lernakademie ist im Aufbau
Text nach einem Artikel im Gränzboten, Tuttlingen, verfasst von Alena Ehrlich
Bearbeitet von Ursula Fischer, Fotos von Stefanie Tapal-Mouzoun
Was mit einer kleinen Schule im Wohnzimmer begann, wächst mittlerweile zu einem umfangreichen Bildungsangebot heran. Weit abgelegen im marokkanischen Atlasgebirge betreibt die gebürtige Tuttlingerin Stefanie Tapal- Mouzoun nun seit zehn Jahren den campus vivant’e. Gemeinsam mit ihrem Mann Haddou Mouzoun hat sie dort einen Kindergarten, eine Grund- und Oberstufe und das neueste Projekt, eine Lernakademie, auf die Beine gestellt. Wie wichtig diese Einrichtung für die Kinder und Jugendlichen vor Ort ist, das ist Tapal-Mouzoun auch durch die Corona-Pandemie noch einmal bewusst geworden.
Gemeinsam mit ihren fünf Kindern leben Stefanie und Haddou Mouzoun seit 2005 in dem hoch gelegenen Berbertal, in dem er auch aufgewachsen ist. Den Campus gründeten die beiden, um Kindern und Jugendlichen aus allen sozialen Schichten den Zugang zu Bildung in ihrer abgelegenen Heimat zu ermöglichen. Finanziert wird das Projekt zum grössten Teil aus Spendengeldern, die Familien der Schüler müssen nur einen kleinen Beitrag leisten – in manchen Fällen beteiligen sie sich auch in Form von Naturalien oder Arbeitskraft. Seit 2015 werden hörbehinderte Kinder integriert, ausserdem wird das Gelände nach den Prinzipien der Permakultur bewirtschaftet.
Doch vom letzten März bis August stand der sonst so lebendige Campus aufgrund der Corona-Pandemie plötzlich still. Anders als in der Schweiz sind online-basierte Unterrichtsmethoden wie etwa Videokonferenzen in dem marokkanischen Aït Bouguemez-Tal undenkbar. «Wir sind in einer sehr abgelegenen und traditionellen Gegend», erklärt die 42-jährige Gesamtleiterin. «Internet ist bei uns noch sehr neu.» Zudem sei die Verbindung in den Bergen schlecht und sehr teuer. Deshalb sei es auch schwierig gewesen, während der Schulschliessung Kontakt zu den Schülern zu halten – besonders in den jüngeren Klassenstufen.
Mit dem Start des neuen Schuljahrs im September wurde der Schulbetrieb wieder aufgenommen. «Die Schüler sind wieder da und sie sind sehr froh», berichtet Stefanie Tapal-Mouzoun. Durch Spenden sei es möglich gewesen, die Gehälter der Lehrer und Lehrerinnen auch während der Pandemie weiterzubezahlen und das Personal zu halten. Das sei eine große Erleichterung, denn zu Beginn des Schuljahres gab es aufgrund des Unterrichtsausfalls erst einmal grosse Wissenslücken. «In den ersten sechs Wochen haben die Lehrer das Wichtigste mit den Schülern aufgeholt. Später ging es mit dem eigentlichen Schulstoff weiter», sagt Tapal-Mouzoun.
Alle 80 Schüler können nun wieder jeden Tag zur Schule kommen – wenn auch unter strengen Hygiene- und Abstandsregeln. Die Schulleiterin ist froh, dass diese auf dem campus vivant’e gut umgesetzt werden können. An vielen öffentlichen Schulen seien die Klassen im wöchentlichen Wechsel anwesend und würden in der anderen Woche Schulaufgaben zu Hause erledigen. Ein solches Modell hält sie im Aït Bouguemez-Tal aber nicht für anwendbar, denn die gesamte Bildung findet dort in der Schule statt. «Oft haben die Kinder und Jugendlichen zu Hause kein eigenes Zimmer und keinen eigenen Schreibtisch, an welchem sie Schulaufgaben erledigen können», erklärt Tapal-Mouzoun. Oft seien die Eltern selbst Analphabeten. «Wir sehen noch einmal ganz deutlich, wie wichtig unser Auftrag vor Ort ist», sagt sie weiter. Ohne Einrichtungen wie den campus vivant’e könnte die Schere zwischen arm und reich noch grösser werden, befürchtet sie.
Zudem ermöglicht der Campus zahlreichen Einwohnern des Tales ein geregeltes Einkommen, sei es als Lehrperson, aber auch als Schulbusfahrer, als Hausmeister, als Köchin in der Schulküche, als Mutter, welche beim Putzen hilft oder als Arbeiter bei den Gebäuden.
Stefanie Tapal-Mouzoun sieht es als Auftrag, die Kinder aus dem abgelegenen Tal ins Leben zu begleiten – eben, weil das durch das Elternhaus oft nicht stattfindet. Sie ist stolz, dass das schon in zwei Generationen möglich gewesen ist. 16 der ehemaligen Schüler, die mittlerweile das öffentliche Gymnasium besuchen, nutzen bereits die neueste Einrichtung auf dem Campus: Die Lernakademie. «Sie sind froh, dass sie bei uns einen Ort zum Lernen und zum Arbeiten haben», sagt Tapal-Mouzoun. Auch wenn sich das Gebäude aktuell noch im Rohbau befindet. Langfristig ist das Ziel, die Lernakademie als öffentlichen Lerntreff zu verankern. «Wir hoffen, dass wir auch weitere Gymnasialschüler aufnehmen können, auch wenn sie vorher nicht bei uns waren», so Tapal-Mouzoun.
Und die Ideen gehen nicht aus. Als nächsten Schritt könnte sie sich vorstellen, ein Frauenzentrum einzurichten. Viele Frauen in der Region können nicht Lesen und Schreiben, es fehlt ihnen einfach an Bildung. Denkbar seien auch Sprach- und Abendkurse. «Ich stelle mir die Akademie so ähnlich vor wie eine Volkshochschule», veranschaulicht sie.
Kürzlich fanden sich bereits mehrere Berberfrauen und Mütter von Schulkindern vom Campus zu einer Eröffnungsbegegnung ein; sie interessieren sich für den ausgeschriebenen Kurs für Alphabetisierungs-unterricht, in welchem auch allgemeines Wissen vermittelt werden soll. Die Einschreibung für den Kurs hat stattgefunden, eine geeignete Lehrerin ist gefunden – und schon bald soll es mit dem Pilotprojekt für Frauenbildung losgehen!
Um solch innovative Projekte zu verwirklichen, die nicht nur den Kindern, sondern einem ganz wichtigen Bevölkerungsteil, nämlich den Frauen, zugutekommt, ist der campus vivant’e auch weiterhin auf Spenden angewiesen. Herzlichen Dank für jede Zuwendung!